Hunde auf Friedhöfen, Kolumne

Hunde auf Friedhöfen, Kolumne

Es war doch ganz einfach. Er brauchte eine Grablaterne – und er nahm sich eine Grablaterne. Und weil da noch so ein schöner, kleiner, bemalter Engel stand, nahm er den auch noch gleich mit. Natürlich war er vorsichtig, er wollte ja nicht erwischt werden… 

Also klemmte er sich die Laterne und den Engel unter sein Halsband und machte, dass er wegkam. Er lief zu dem Friedhof, auf dem sein Frauchen begraben lag und stellte die Laterne vorne ans Grab und das Engelchen direkt vor den Stein. Das würde sie freuen, da war er sicher. Ein schlechtes Gewissen? Das hatte er nicht. Warum auch? Sollten sich die von dem Grab, wo beides vorher stand, doch einfach eine neue Deko kaufen….

Sie verdrehen bei diesen Zeilen die Augen? Würde ein Hund jemals eine Grablaterne und einen Dekoengel klauen? Oder Blumen? Oder Erdvasen? Oder Teddybären von einem Kindergrab? Natürlich nicht!

Aber wer darf Friedhöfe nicht betreten? Hunde oder Menschen? 

Natürlich sollte ein Friedhof kein Auslaufgebiet für Hunde werden – aber das würde es sicher nicht. Und vielleicht wäre es auch keine gute Idee, Hunde unangeleint zwischen den Gräbern herumspringen zu lassen. Aber ich bin mir sicher, so gut wie niemand, der mit seinem Zamperl einen Friedhof betritt, würde das zulassen

Aber ich bin sicher, Elfriede Neumann, die ihren Karl-Heinz verloren hat und gerne an seinem Grab mit ihm Zwiesprache hält, würde das noch lieber tun, wenn der kleine Purzel, den sie noch mit ihm als Welpe angeschafft hat, dabei neben ihr sitzen würde. Wenn sie ihr Gesicht in sein weiches Fell drücken und von Herzen weinen könnte. 

Oder mit ihm lachen, wenn sie daran denkt, wie er als Welpe in Karl-Heinz‘ Schuh gepieselt hat und ihr Mann das erst merkte, als er auf einmal eine nasse Socke hatte… 

Oder wie Karl-Heinz und sie so große Angst um Purzel hatten, bei der OP, nachdem ihn ein anderer Hunde verletzt hatte. Er war doch ihr beider großer Liebling. Und nun ist er alles, was sie noch von ihm hat. Eine letzte lebende Verbindung. 

Sie geht jeden Tag zum Grab – und jeden Tag muss sie Purzel daheim lassen, weil Hunde auf dem Friedhof verboten sind. Dabei ist Purzel auch nicht mehr ganz jung und sie weiß, dass sie sich eines Tages werden trennen müssen, weil der Tod einen von ihnen beiden abholt. 

Sie würde so gern mehr Zeit mit Purzel verbringen, aber die zwei Stunden auf dem Friedhof jeden Tag sind ihr auch wichtig… Also geht sie ohne ihren Hund und ist traurig, weil er ihr am Grab so besonders fehlt. 

Traurig auch, dass erst gestern wieder jemand die schöne Grablaterne und den kleinen Engel vom Grab geklaut hat. Den Engel, den ihre Enkelin Mareille für den Ur-Opa so schön bemalt hat. 

Sie weiß nicht: Wie soll sie Mareille erklären, wo der hingekommen ist? Wie soll sie ihr erklären, dass es Menschen gibt, die von Gräbern klauen? Laternen, Engel, Blumen, Erdvasen oder Teddybären von Kindergräbern. Vielleicht wäre das die Gelegenheit Mareille das Wort „skrupellos“ zu erklären. Aber das hätte sie lieber bei anderer Gelegenheit getan…

Mit dem Erklären ist das aber auch manchmal sehr schwer. Neulich fragte Mareille nämlich, als sie gemeinsam den Ur-Opa auf dem Friedhof besuchen gingen, warum denn der Purzel nicht mit dürfte. Der Opa mochte ihn doch so gern… Elfriede konnte es ihr nicht erklären. 

Aber sie weiß, dass Purzel sich benehmen würde. Dass sie vorher eine Runde mit ihm drehen würde, damit er kein kleines oder großes Geschäft auf dem Friedhof verrichtet. Dass sie ihn angeleint lassen würde, wenn sie das Grab pflegt.  Dass sie ihn immer auf dem Friedhof angeleint lassen würde. Weil das selbstverständlich ist.

Aber eins weiß sie ganz genau: Dass sie noch nie davon gehört hat, dass ein Hund sich eine Grablaterne und einen Dekoengel unters Halsband geklemmt hat und damit abgehauen ist, um das alles auf ein anderes Grab zu legen. Natürlich auf einem anderen Friedhof, damit man hier nichts merkt.

Und etwas ist ihr ganz und gar schleierhaft: Warum Menschen auf Friedhöfen erlaubt sind, Hunde aber nicht.